Nicht immer hält Spielzeug auch das, was es auf den ersten Blick verspricht. Ich sehe genau hin!

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Dienstag, 16. Dezember 2014

Buchtipp: "Der kultivierte Wolf"

Bücher, die Kinder erzählen, wie toll das Lesen ist, sind etwas wunderbares. Für Kinder im Kindergartenalter und Grundschulalter kann ich das Buch "Der kultivierte Wolf" mit Begeisterung empfehlen. Dem Autor und dem Zeichner gelingt hier das absolute Kunststück, die Botschaft mit einem freundlichen Augenzwinkern an den Leser zu bringen. Vom pädagogischen Holzhammer ist hier weit und breit nichts zu sehen, denn der wäre hier wirklich gänzlich fehl am Platz. Ein Buch, das vom Lesen schwämt, muss selbst angenehm zu lesen sein. Und das ist es. Sowohl für die Eltern, als auch für die Kinder. Aber was hat denn nun ein Wolf mit dem Lesen zu tun? Hier kommt meine Empfehlung:


Wie kennen Kinder den Wolf aus anderen Geschichten?


Eigentlich ist der Wolf der letzte, der in einer Geschichte über das Lesen erwartet wird. Den Wolf kennt man eigentlich aus Märchen und Fabeln nur als rücksichtslosen Freßsack und Stänker. Und dumm ist er in traditionellen Geschichten meist auch. Wie ließe sich sonst erklären, dass der Wolf,  die sieben Geißlein am Stück  wie Tabletten herunter würgt. Oder eine ganze Großmutter und ein Rotkäppchen? Und merkt der dumme Wolf nach der Operation nicht, dass statt zappelnder Geißlein dicke Steine in seinem Bauch liegen und dass er auf wundersame Weise eine lange Narbe auf dem Bauch hat, die vorher nicht da war? Und dann fällt er auch noch in den Brunnen, weil er sich zu dumm zum Trinken anstellt.
In einer anderen bekannten Kindergeschichte hat ein Wolf einen riesigen Spaß daran, drei kleine Schweinchen zu schikanieren und deren Häuser zu zerstören. Als aber das dritte ein Haus Stein baut, dauert es beim Wolf eine ganze Weile bis er erkennt, dass er hier nichts ausrichten kann. So sieht das übliche Bild vom Wolf aus und in vielen Kinderköpfen kommt der Wolf nicht unbedingt in die beste Schublade.

Wie benimmt sich der Wolf in dieser Geschichte?

Natürlich ist der alte Graupelz auch hier nicht von Anfang an kultiviert. Und genau damit spielt diese Geschichte ganz bewusst. Er tritt zu Beginn so auf, wie es Kinder erwarten. Sein Hunger treibt ihn in eine Stadt, er will aber sein erspartes Geld nicht für Essen ausgeben. Also beschließt er zu einem Bauernhof in der Nähe zu gehen, denn dort gibt es Fressen ohne es kaufen zu müssen. Dieser Vorsatz lässt üble Taten ahnen.

Als er auf dem Bauernhof ankommt, sieht er eine Kuh, eine Ente und ein Schwein. Diese halten Bücher in der Hand. Allerdings sind die Bauernhoftiere im Bild so weit weg, dass man die Bücher erst sicher erkennt, wenn man den Text dazu hört oder liest und sich mit dem Wolf wundert, dass Bauernhoftiere lesen. Der hat noch nie lesende Tiere gesehen und Kinder sicher auch nicht. Der Wolf greift also zum probaten Mittel und will die Tiere in Angst und Schrecken versetzen und hofft so, den Hunger zu beseitigen. Während die nicht lesenden Hühner und Hasen so wie ein Küken aus dem Bild rennen, bleiben Schwein, Ente und Kuh vollkommen tiefenentspannt sitzen und ignorieren den Wolf. Das bringt Wölfchens ganzes Weltbild ins Wanken. Das kannte er noch nicht, dass Tiere keine Angst vor ihm haben und er fragt verdutzt nach, ob man ihn nicht erkannt habe. Das unerhörte passiert: Das Schwein erklärt ihm, dass der Hof nur für kultivierte Tiere gedacht ist und fordert ihn auf, woanders böse zu sein. Der Blick des Wolfes auf dem Bild dieser Seite spricht Bände. Er hat einen wunderbar sympathisch verwirrten Gesichtsausdruck. Fast könnte man Mitleid haben.

Nun wundert er sich herum, was das mit den kultivierten Tieren wohl soll, weil er das für etwas neues hält. Hier an der Stelle kann man Kindern auch ganz gut erklären, was kultiviert bedeutet, denn aller Wahrscheinlichkeit nach gehört dieses Wort noch nicht zum kindlichen Wortschatz. Und auch der Wolf lernt jetzt wie ein besessener. Er geht mit Kindern in eine Grundschulklasse und lernt lesen, bis er Klassenbester ist. Aber das Schulwissen eines ABC Schützen reicht den Tieren auf dem Hof noch nicht. Und dass er aus der Fibel lesen kann, reicht ihnen nicht. Er darf noch nicht in den erlesenen Kreis kultivierter Tiere eintreten.

Hier beginnt sich die Geschichte wieder am klassischen Märchen zu orientieren. Der Wolf benötigt insgesamt drei Anläufe, um sein Problem zu lösen. Da die Schulbildung nicht reicht, liest er viele alte Bücher in einer Bibliothek. Mit seinem neuen Können gerüstet geht er wieder zum Hof und liest ausgerechnet aus dem oben schon erwähnten Buch "Die drei kleinen Schweinchen" vor, allerdings ohne Pausen zwischen den Wörtern zu beachten. Das Schwein schickt ihn wieder weg und beauftragt ihn an seinem Stil zu arbeiten. Als Erwachsener ahnt man schon, dass das Lesen dieser Geschichte möglicherweise beim Wolf mehr bewirkt haben könnte, als Lesefertigkeit zu erzeugen.

Der dritte Versuch: Er kauft sich sein erstes eigenes Buch und liest es gründlichst und über Tage und Nächte. Es ist ausgerechnet ein Märchenbuch und so bleibt nicht aus, dass der Wolf nicht nur seine Lesetechnik gründlich verbessert. Er setzt sich unfreiwillig auch mit seiner Rolle als Wolf auseinander. Er geht wieder zum Bauernhof und liest aus seinem Märchenbuch vor und schlüpft in die Rolle der Märchenfiguren, was für Kinder auch auf dem Bild gut nachzuvollziehen ist. Es ist schon ein wenig schwarzer Humor dabei, dass der sich der Wolf nun sogar ins Rotkäppchen hinein versetzt. Die drei Bauernhoftiere akzeptieren ihn nun als vollwertiges Mitglied und laden ihn zu ihren Aktivitäten ein. In der letzten Szene sieht auf dem Bild, wie er einen Apfel zum Essen bekommt. Und sogar die Hasen lesen jetzt in einem Buch.

Und was bedeutet das jetzt?


Meine Kinder haben beim Vorlesen der Märchen schon oft gefragt, warum der Wolf nun so böse sei. Mit der Frage, die sich sicher schon viele Kinder zig mal gestellt haben, spielt dieses Buch wunderbar. Dabei wird die Botschaft nie fertig serviert, sondern den Kindern nur dank dem sehr einfühlsamen Text nahe gelegt. Die Bilder unterstützen die Message des Texts perfekt. Beispielsweise durch die Gesichtsausdrücke des Wolfs, oder dadurch, dass er nun offensichtlich auch Vegetarier geworden ist, weil er als Wolf einen Apfel frisst. Schön finde ich, dass hier auch dargestellt wird, dass man Möglichkeiten hat, sich zu wandeln und zu entwickeln. Ich mag Bücher für Kinder besonders gerne, die bei Kindern mit Vorurteilen und Schubladendenken aufräumen. 

Dabei schwingt immer mit, dass das Lesen ihn einerseits sehr viel Spaß macht und andererseits einen besseren Menschen, äh Wolf aus ihm gemacht hat. Das Lesen wirkt in der Geschichte unheimlich cool, denn die Sympathieträger in diesem Buch sind anfangs ganz klar die netten und lesenden Tiere. So ist zu hoffen, dass die Begeisterung und der Ehrgeiz ein klein wenig auf die Kinder übergehen möge.

Wie sieht es mit den Bilder aus?


Die Bilder sind allesamt klar und die Botschaften für Kinder problemlos zu erfassen. Sie zeigen das Wesentliche, was im Text nicht gesagt wurde. Dabei sind sie weder überfrachtet noch künstlich kindisch. Dabei spielen die Bilder geschickt mit dem Thema Klischee, ohne Klischees zu unterstützen. In dem Bild der Buchhandlung zum Beispiel richten sich alle Augen auf den einzigen Wolf zwischen lauter menschlichen Kunden. Alle Kinder verstecken sich ängstlich vor ihm, oder beobachten ihn aus sicherer Höhe.

Erwähnenswert sind auch die Bilder, die die eigentliche Geschichte umrahmen, aber nicht direkt beim Text stehen. Das Titelbild ist eigentlich schon ein riesiger Spoiler, denn darauf sieht man den Wolf und die drei Bauernhoftiere einmütig zusammen in einem Buch lesen. Trotzdem versteht man die Botschaft erst nach dem ersten Lesen.

Sogar die Einbandinnenseiten sind liebevoll illustriert und laden zum Entdecken ein. Die erste Doppelseite zeigt die Stadt vor dem eigentlichen Beginn der Geschichte. Der Wolf läuft hier mit seinem Bündel herum und die Menschen blicken ihn unfreundlich und abweisend an. Auf den hinteren inneren Einbandseiten sind die Menschen fröhlich und ihm zugewandt. Die Kinder scharen sich um den Wolf und lassen sich vorlesen. So wandelt sich die Welt, wenn man sich selbst verwandelt.

Dadurch, dass die Hauptpersonen als Tiere dargestellt werden (was ja die Handlung vorgibt) können sich alle Kinder mit den Tieren identifizieren. Auch die dargestellten Menschen sind erstaunlich klischeefrei dargestellt. Man sieht auch Dicke, Senioren und zwei Männer, die dank Haar und Barttracht auch ein wenig türkisch wirken. Also insgesamt eine Bevölkerung, wie man sie heute in einer Stadt erwartet. Trotz dem es ein Bilderbuch ist, trifft man hier nicht auf idealisierte Bilderbuchmenschen, was ich wohltuend finde.

Fazit:

Ein tolles Bilderbuch, das auch nach häufigem Lesen noch sehr viel Spaß macht. Und immer wieder bietet es Anknüpfungspunkte für Gespräche. So bleibt die eigentlich einfach verständliche Geschichte auch für Grundschulkinder als Denkanreiz sehr interessant. Sowohl über den Inhalt als auch über die Bilder. Erschienen ist "Der kultivierte Wolf" von Becky Bloom und Pascal Biet im Lappan Verlag unter der ISBN 978-3-8303-1139-3, den man auch als Verlag kennt, der die Comics von Uli Stein verlegt. Man sollte aber daraus nicht den Schluss ziehen, dass das Buch über den kultivierten Wolf ins alberne abgleitet. Der Wolf wird nicht lächerlich gemacht oder bloß gestellt, sondern kommt am Ende nach vollzogener Reifung unheimlich sympathisch rüber. Für 9,95 erhält ein tolles Buch, das ich einfach nur empfehlen kann.

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